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#define gerechte Pensionen

Weil mal wieder der Generationenvertrag in Sachen Pensionen im Gespräch ist, und Alt gegen Jung diskutiert, will ich hier mal einen Gedanken einwerfen, der zu oft ignoriert wird.

Wir haben ein Umlagesystem bei den Pensionen: die jetzt Arbeitenden zahlen die Pensionen der vorigen Generation in der Erwartung, dass dann ihre Kinder und Enkel das Gleiche für sie machen werden. Alles gut und sinnvoll, aber was genau meinen wir eigentlich mit „das Gleiche machen“?

Durch die demoskopischen Entwicklungen und die Änderungen in der Lebenserwartung sind die Randbedingungen nicht konstant geblieben, die Frage hat daher keine triviale Antwort. Ich sehe grob zwei Ansätze, wobei ich bewusst nicht behaupte, dass der eine wahrer ist als der andere.

Der anspruchsbasierte Ansatz

Nach x Jahren Arbeit / ab dem y. Lebensjahr hat man einen Anspruch auf eine Pension in der Höhe von f(Arbeitseinkommen). Wenn die Generation, die jetzt in Pension ist, das für ihre Vorgänger ermöglicht hat, dann ist es nur fair, wenn auch sie zu den gleichen Konditionen in Pension gehen können. Ja, an ein paar der Parameter wurde in den letzten Jahren leicht gedreht, etwa der Funktion, die aus dem Einkommen über die Berufsjahre die Pensionshöhe ermittelt, aber der Ansatz blieb der gleiche: man hat sich eine Pension in einer gewissen Höhe verdient, und die haben die Kinder und der Staat zu garantieren. „Ist ja fair, wir haben das gleiche für unsere Vorfahren gemacht.“

Der kostenbasierte Ansatz

Wir können aber auch andersherum rechnen: die jetzigen Pensionisten mussten während ihres Arbeitslebens für die Unterstützung ihrer Eltern/Großeltern einen gewissen Teil ihres Einkommens abgeben. Teils direkt per SV-Abgaben auf ihr Einkommen, teils per Arbeitsgeberbeiträge auf ihren Lohn aber auch über Zuschüsse aus dem regulärem Staatsbudget. Das könnte man sicher aus historischen Statistik- und Budgetdaten für jedes Nachkriegsjahr ausheben. Der genaue Prozentwert spielt hier keine Rolle, aber ich bin mir sehr sicher, dass er über die Jahre hinweg gestiegen ist, weil die Bevölkerung nicht mehr so stark wächst (was das Ganze in Richtung Ponzi-Schema gerückt hat) und die Lebenserwartung viel stärker gestiegen ist als das Pensionseintrittsalter. Man kann gut argumentieren, dass das nicht fair ist. Warum sollen heutigen Arbeitenden mehr ihrer Wirtschaftsleistung an die Pensionisten abgeben, als was diese früher für ihre Vorgänger abgegeben haben?


Aus einer rein rationalen Sicht sind beide Ansätze gleich richtig. Beide sind in sich konsistent und logisch. Der Mathematiker und Informatiker in mir sagt: wenn man bei einer Optimierungsaufgabe die Zielfunktion nicht klar definiert (hier „Was ist gerecht?“), dann kann man nicht objektiv die beste Lösung suchen. Das geht mir bei der aktuellen Debatte ab. Die Anerkennung, dass es mehr als einen Blickwinkel auf das Thema gibt, und dass man daher einen politischen Kompromiss suchen wird müssen.

Aber in einem Bereich bin ich ganz hart für den kostenbasierten Ansatz: Angeblich sind die Politikerpensionen in Italien komplett aus dem Ruder gelaufen, weil schon kurze Karrieren dort großen Pensionsansprüche triggern. Hier wäre ein hartes „Aber in Summe kriegen sie nicht mehr als x% vom BIP.“ hilfreich.  

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Austria Internet Politics

ID Austria und der Bundestrojaner

[2022-08-16: ein paar Klarstellungen hinzugefügt.]

Letztens hat wer auf Twitter geschrieben, dass es doch sein könnte, dass in die für ID Austria vorgesehene Smartphone App („Digitales Amt“) ein Bundestrojaner eingebaut ist. Ich halte das für ausgesprochen unwahrscheinlich, die Argumente dahinter (neben den trivialen “das schaffen sie nicht” und “das wäre illegal”) eignen sich aber nicht für Twitter, daher dieser Blogpost.

Auf die Frage, warum SMS nicht mehr sicher genug ist, und warum eine App am Smartphone als zweiten Faktor die Lösung sein soll, will ich hier nicht eingehen. Das ist ein anderes Thema, und ist in der Form auch gar nicht mehr wahr, da auch FIDO Tokens (Level 2) unterstützt werden. Auch das Thema Datenschutz will ich hier nicht ansprechen.

Hintergrund

Wir sind in Österreich gewöhnt, dass der Staat uns Mittel in die Hand gibt, uns mit sehr guter Qualität auszuweisen (und wir unsere Gegenüber), also zu beweisen, wer wir sind. Pässe und Personalausweise sind hilfreich. Wo es das nicht flächendeckend gibt (etwa im angelsächsischem Raum), dort wird dann auf so schwache Hinweise wie Stromrechnungen zurückgegriffen und dort gibt es viel mehr Probleme mit Betrug per Identitätsdiebstahl.

Es ist daher nicht überraschend, dass schon länger versucht wird, das gleiche Konzept auch auf die virtuelle Welt im Internet zu übertragen. Auch hier wäre es in vielen Fällen gut, wenn ich mich (als Nutzer, der einen Browser bedient) klar gegenüber einer Webseite ausweisen kann. Das kann von simplen e-Commerce bis hin zu e-Government reichen. Klar ist das oft mühsam, aber es ist oft zu meinem eigenen Schutz, damit niemand anderer in meinem Namen etwas machen kann. Beispiel aus der offline-Welt von 2007: Ich hebe eine große Summe Bargeld am Bankschalter ab, damit ich mein neues Auto bar bezahlen kann. Darauf will man sowohl meine Bankkarte, als auch einen Ausweis sehen und entschuldigt sich für die Umstände. Ich sag drauf: im Gegenteil, ich wäre sauer, wenn sie jemandem mehrere tausend Euro von meinem Konto geben, ohne sicherzustellen, dass das wirklich ich bin.

Nicht immer ist der „True Name“ relevant, sondern es ist nur wichtig, dass man beim Webservice wiedererkannt wird. Dafür reichen dann Sachen wie „Login via Google/Twitter/Facebook“, wobei es mir massiv gegen den Strich geht, meine Online-Aktivitäten auf vielen Webseiten vom Vorhandensein meines Google-Accounts abhängig zu machen. Weil bei den dortigen Gratis-Accounts habe ich null Handhabe, wenn irgendeine KI meint, sie müsse meinen Account sperren.

Ich halten es daher für ausgesprochen gut, dass sich der Staat in das Thema Online Authentication einmischt. Die Historie der Bürgerkarte will ich hier nicht breittreten, aber mit der eIDAS Verordnung auf EU-Ebene entsteht langsam ein föderiertes System von nationalen Identifikationsmethoden, die es jedem EU Bürger erlauben wird, sich EU-weit online zu identifizieren. Das ist einer der Kernbausteine des EU Single Market, und die EU treibt auf vielen Seiten das Thema Verifikation von Online-Identitäten voran. Das kann man jetzt gut finden, oder nicht, siehe etwa meine Blogposts zu NIS2 und Domaininhabern.

eID  / ID Austria

Aus dem obigem ergibt sich, dass ID Austria kein kurzfristiges Projekterl wie etwa das „Kaufhaus Österreich“ ist. ID Austria ist für Österreich nicht optional. Es ist strategisch wichtig, um die national Souveränität in der Onlinewelt zu erhalten. Und es ist eine Vorgabe von der EU, die umzusetzen ist.

Kurz: das Teil ist wichtig, da hängt viel dran. Das muss funktionieren. Was bewirkt sowas in der Umsetzung? Viel Aufmerksamkeit, jede Menge Leute, die mitreden und entsprechende Kontrolle.

Ist es daher denkbar, dass eine (illegale) Spionagekomponente als Teil des offiziellen Projektplans der ID Austria aufgenommen wurde? Keine Chance. Da sind zu viele Leute involviert. Das gefährdet deren Baby massiv.

Gäbe es ein bewusstes Backdoor und würde das enttarnt werden, so hätte das massiv negative Effekte. Auf die Beteiligten und das Thema eID. Das wäre ein Spiel mit sehr hohem Risiko.

Beteiligte Player

Früher habe ich, wie sicher viele andere auch, die Behörden als eine Einheit gesehen. Im Zuge der Zusammenarbeit mit der öffentlichen Verwaltung ist mir aber klargeworden, dass das völlig falsch ist. Erst mal muss man zwischen Bund, Ländern und Gemeinden unterscheiden, die oft divergente Interessen haben. Aber auch der Bund ist kein Atom: jedes Ministerium ist eigenständig, hat eigene Ziele, Prozesse und House-Rules. Zoomt man weiter, so sieht man weiter Strukturen, gerade das BMI und das BMLV sind Paradebeispiele von komplexen Organisationen mit jeder Menge interner Interessenskonflikte und Friktionen.

Wenn man also die Frage stellt, ob der Staat in die ID Austria App („Digitales Amt“) einen Bundestrojaner einbaut, dann muss die erste Rückfrage sein: Wer genau würde das tun?

Das Thema eID ist ein bisschen ein Wanderpokal: lange war das im Bundeskanzleramt angesiedelt, mit Schwarz-Blau wurde es an das BMDW (Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort) übergeben, und jüngst ist es in das Finanzministerium verschoben worden. Aus welcher Ecke käme der Wunsch, in die App eine Überwachungsfunktion einzubauen? Beim letzten Gesetzesvorschlag in die Richtung war das Innenministerium (genauer, das Bundeskriminalamt) zuständig. (Theoretisch könnte man noch an das BMLV/Abwehramt denken, in der Praxis passt das aber überhaupt nicht.)

Wir haben erst jetzt mit der Schwarz-Grünen Koalition BMI und BMx in der gleichen Couleur. Dass ein blauer Innenminister so etwas im der schwarzen BMDW-Frontfrau im Geheimen ausdealt? Nah. Und dass das nach Koalitionsende geheim bleibt? Sehr unrealistisch.

Neben den Ministerien ist aber auch noch der Technologiepartner im Spiel. Das BMDW programmiert die App ja nicht selber. Soweit ich weiß, ist das in diesem Fall das Bundesrechenzentrum (BRZ). Wie soll das BMI, das hier gar nicht Auftraggeber ist, und auch keine juristische Grundlage dafür hat, dem BRZ einreden, in die App noch was reinzugeben? Auf welcher Basis? Mit welchem Budget?

Gesetzeslage

Die anlasslose „Überwachung“ mittels der Vorratsdatenspeicherung wurde von den Höchstgerichten gekippt. Die von Schwarz-Blau angestrebte gezielte Kommunikationsüberwachung von Verdächtigen per Software am Handy wurde auch untersagt.

Eine Überwachungskomponente in der ID Austria App ist daher rechtlich sicher nicht zulässig.

Ja, man kann natürlich behaupten, dass das irrelevant ist, weil Gesetze gebrochen werden können. Meiner Erfahrung nach kommt das vielleicht im Kleinen vor, je mehr Personen aus verschiedenen Organisationen im Spiel sind, umso unwahrscheinlicher ist das.

Der Kreis der Verschwörer ist zu groß, und Vorteil, den sie daraus ziehen, ist zu abstrakt. Klassische Korruption passt hier nicht als Motiv, wie sollte man diesen Gesetzesverstoß zu privater Bereicherung nutzen? Was haben die Leute im BMDW oder BRZ davon, dass sie hier mitspielen? Für das BMDW wäre das ein Eigentor mit Anlauf. Und was würde es der Polizei wirklich bringen? Sie können mit dem potentiell erlangten Wissen ja nicht vor Gericht gehen, solange das ganze Schema illegal ist.

Weiters muss man sich noch die Frage stellen, ob die Tätergruppen, die gerne für diverse Überwachungsphantasien herhalten müssen, überhaupt die App haben. Pöhse Ausländer, Organisierte Kriminalität, Terroristen? Die haben sicher die App, um damit ihren Meldeschein auszufüllen und bei Volksbegehren zu unterschreiben. Genau.

Technisches

Im Gegensatz zum Einsatz von klassischer polizeilicher Überwachungssoftware wird die „Digitales Amt“ App über die normalen App-Stores verteilt. Was heißt das?    

  • Die App muss durch die Sicherheitschecks von Apple und Google durch. Ja, die sind nicht perfekt, aber: Das muss bei jedem kleinen Update funktionieren, immer und immer wieder. Es reicht nicht, dass das einmal unerkannt bleibt. Egal, was die beiden in Zukunft machen, die Überwachungskomponente darf nie erkannt werden.
  • Kauft man diese aber wo zu, ist die Chance sehr hoch, dass diese mal irgendwo auffliegt und dass dann die Erkennungen entsprechend verbessert werden.
  • Die App wird als normale App installiert und bekommt nur einen minimalen Satz an Rechten. Für die Nutzung als Spionagewerkzeug bräuchte sie viel mehr Privilegien, die sie sich über Schwachstellen erarbeiten müsste. Das ist nicht einfach und ein „moving target“.
  • Apps sind ziemlich einfach zu de-kompilieren. Es ist daher anzunehmen, dass sich mal wer den Code (der ja verfügbar ist) anschaut.

Zusammenfassung

  • Die Kosten+Risiko – Nutzen Rechnung geht für den Staat nicht auf
  • Die Involvierten haben großteils negative Motivation, warum sie das machen sollten
  • Technisch schwierig. Hohes Risiko, enttarnt zu werden
  • Es wäre klar illegal
  • Es sind viel zu viele Player involviert

Trotzdem

Es wäre kein Fehler, wenn man – analog zur Covid-Tracking App – auch hier die Civil Liberties- und Datenschutz-NGOs einbindet und mit wirklich offenen Karten spielt.

In Bezug auf den Datenschutz wurde das auch gemacht, die Datenschutz-Folgenabschätzung vom Research Institute ist umfassend und erklärt gut die Datenflüsse und Behandelt die Risiken in dieser Hinsicht.

Von einem unabhängigen Code-Review, Sicherheitstests oder laufenden Einsichtmöglichkeiten in den Source-Code der App habe ich aber (noch) nichts gehört.

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Kunst hat Rechte, aber nicht immer recht

Aktuell wird mal wieder viel über das Urheberrecht und die armen Künstler gesprochen. Die Piratenpartei feiert Wahlerfolge und die Gegenseite formiert sich auch.

Ich hab in einem Online-Forum Kommentare dazu geschrieben, hier die kurze Zusammenfassung:

Die Menschen fühlen sich aktuell von der Content / IP – Industrie massiv verarscht. Der kleine Schaffende, der jetzt unter die Räder kommt, ist nicht schuld dran.

Wenn man sich ein bisschen in die Thematik eingelesen hat, und die Exzesse der IP-Industrie sieht, dann ist es mit der Sympathie für diese Leute schlicht vorbei. Beispiele:

  • Software/Business-Patente. Das ist zu einem Kartell der Erpresser verkommen.
  • Verarschung der legitimen Kunden. Ich sag nur DVD mit Region-code, non-skippable Werbung/warnungen (kommt genial auf Kinder-DVDs)
  • Die Explosion des Wissens
  • RIAA Accounting
  • Wir kennen das Lied schon.
  • “Nein, du kannst das nicht in der Form kaufen, die du haben willst.” Beispiel: aktuelle US-Serien. Das ist ein relevanter Markt, der nicht bedient wird. No na wird da filesharing gemacht.

So ganz einseitig und einfach ist aber aber auch nicht, ich empfehle den Piraten mal die Lektüre von Charlie Stross’ Common Misconceptions About Publishing.

Weiters:

Der normale Bürger da draußen, der sich sein Brot in der freien Wirtschaft verdient, fühlt sich ernsthaft verarscht, wenn er von den Künstler ein “Ich brauche die Festplattenabgabe, weil sonst kann ich nicht mehr von meiner Kunst leben!” hört.

Das “ich kann nicht davon leben, was ich gern machen / gelernt habe” ist leider eine Sache, die viele trifft. Vom Greißler über den Cafe-Besitzer bis hin zur Historikerin. Ganze Scharen von arbeitslosen Akademikern haben genau das Problem.

Ja, Diebstahl ist ein Problem. Aber ein vorbeiproduzieren an dem, was (und wie) die Leute denn kaufen würden ist es ebenfalls. Und falls die Kunst meint, es kann ihr egal sein, ob sie was macht das der Markt haben will, dann ist das Liebhaberei und ein Hobby. Aber keine Berechtigung, davon Leben können zu müssen.

Die Gesellschaft als Ganze mag entscheiden, dass man sich Kunst leisten will. Dann sind wir wieder in der Subventions/Almosen/… Schiene, die manchen Künstlern so aufstößt.

Aber:

Der Kern der Problems ist meiner Meinung nach was ziemlich Böses: Die Industrie hat sich daraus entwickelt, dass das Duplizieren von Information (inc. Musik und Filmen) ein technisch anspruchsvolles und daher teuer zu lösendes Problem war. Die Studios, Verlage, … haben eine Lösung für einen Mangel verkauft.

Das hat sich jetzt massiv verändert: Das technische Problem existiert nicht mehr. Der Mangel ist weg. Und es gibt in vielen Bereichen einen massiven Überfluss an Inhalten. Die alten Methoden können in diesem Szenario nicht mehr funktionieren. Ein Beharren darauf kann es nicht sein.

Ein “jeder kann alles und immer ohne jegliche Vergütung kopieren” wird auch kaum die Lösung sein.

Interesting Times. Ich seh keine simple Lösung für das Problem. (und ja, das ist eines)

Addendum (10.5.2012): Auch Meldungen wir diese erhöhen nicht das Verständnis der Bevölkerung für die Forderungen der Musikindustrie.