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Ein paar Thesen zu aktuellen Gesetzesentwürfen

(Diesen Blogpost habe ich 2017 für den CERT.at Blog geschrieben. Das hier ist quasi eine Sicherheitskopie.)

Das Thema “LE going dark in the age of encrytion” kocht mal wieder hoch, und noch schnell vor den Neuwahlen wurden entsprechende Gesetzesentwürfe eingebracht. Ich will hier aus technischer Sicht ein paar Argumente in die Diskussion einwerfen, beschränke mich hier aber rein auf den Aspekt Überwachung trotz Verschlüsselung. Die anderen Punkte (Registrierung und Zugriff auf Kameras, Zugriff auf Daten der ISPs, …) sind zwar auch interessant, treffen aber nicht so sehr in das Kerngeschäft von CERTs, ich werde sie daher nicht mit dem CERT.at Hut kommentieren.

Links:

Wir leben in einer vernetzten Welt, ein lokaler Blickwinkel reicht nicht.

Echte End-to-End Verschlüsselungen in internetbasierten Kommunikationsplattformen (Messenger, VoIP, …) verhindern, dass deren Betreiber Auskunft über Kommunikationsinhalte ihrer Nutzer geben können. Gut gemachte Verschlüsselung für Harddisks und Handys heißt das gleiche: der Hersteller kann die Devices seiner Kunden nicht einfach entsperren.

Natürlich wäre es für das FBI und andere Polizeibehörden im Westen sehr hilfreich, wenn dem nicht so wäre, und sie immer auf die Mithilfe von Apple, Microsoft, Google, Facebook & co bauen könnten, um an die Daten und die Kommunikation von Verdächtigen heranzukommen. Das hat nur zwei ernsthaft böse Konsequenzen:

  • Die gleichen Möglichkeiten gelten dann auch für die Polizei von fast allen Staaten dieser Welt. Man mag dem Rechtsschutz in Österreich noch vertrauen, aber es gibt genug Staaten (und weit weg von unserer Insel der Seligen müssen wir da gar nicht), in denen solche Werkzeuge in den Händen des Staates für Repression, Wirtschaftsspionage und Korruption verwendet werden.
  • Es ist für die betroffenen Anbieter ein massiver Imageschaden, wenn sie hier mitspielen. Das kann sich vielleicht gerade noch ein Monopolist erlauben, Firmen die im freien, global Markt operieren, können das nur ablehnen.

In anderen Worten: wir können nicht verhindern, dass das gleiche Werkzeug, mit dem eine österreichische Firma mit ihren Außenstellen und Mitarbeitern im Ausland geschützt kommunizierten kann, auch von einem Übeltäter bei uns benutzt wird, um der Strafverfolgung vermeintlich zu entkommen.

Das Rad der Zeit kann man nicht zurückdrehen

Das Internet basiert auf der Idee, dass das Transportnetz nichts von den Applikationen wissen muss, sondern sich rein auf den Datentransport beschränkten kann. Damit wurde eine Innovationskraft freigesetzt, die andere Ansätze (erinnert sich noch jemand an die ISDN Vision aus den 80ern?) komplett überrollt hat.

Ganz ähnliches ist bei PCs und Handys passiert: Erst mit der Möglichkeit, fast beliebige Programme auf diesen Computern laufen zu lassen, wurden sie erst wirklich interessant und so wurden sie zu Plattformen für vielfältigste Anwendungen und Nutzungen.

Wir leben in einer Welt, in der “breit verfügbare, generische Kommunikationsmittel” und “billige, mächtige, frei programmierbare Computer” eine Tatsache sind. Und auch wenn diese Idee im Zeitalter von App Stores (Apple, Windows 10 S), Staatlichen Firewalls (China) oder VPN-Verboten (aktuell Russland) etwas unter Druck kommt, glaube ich nicht, dass das Rad der Zeit hier komplett zurückgedreht werden kann.

Über das Internet kann man beliebige Kommunikation tunneln, das Netz selber kann hier nicht regulierend eingreifen. Und welche Programme auf unseren Endgeräten laufen, können wir in weitem Rahmen selbst bestimmen. Software zur Kommunikation von staatlicher Seite zu verbieten, hat sich in westlichen Demokratien bis jetzt als undurchsetzbar herausgestellt.

Auch das Wissen um Kryptografie (Verschlüsselung) ist inzwischen so breit gestreut und die Algorithmen sind überall über einfache APIs ansprechbar, dass auch die Verfügbarkeit von Kyptografie nicht mehr umkehrbar ist.

Kryptografie schwächen heißt Sicherheit schwächen

Bei der Einführung von Transportverschlüsselung (SSL/TLS) hat die US Regierung eine Zeit lange versucht, nur den Export von abgeschwächten Versionen zu erlauben. Das hat sich als Bumerang erwiesen, wie die Forscher schreiben, die die “DROWN” Lücke gefunden haben:

For the third time in a year, a major Internet security vulnerability has resulted from the way cryptography was weakened by U.S. government policies that restricted exporting strong cryptography until the late 1990s. Although these restrictions, evidently designed to make it easier for NSA to decrypt the communication of people abroad, were relaxed nearly 20 years ago, the weakened cryptography remains in the protocol specifications and continues to be supported by many servers today, adding complexity—and the potential for catastrophic failure—to some of the Internet’s most important security features.

The U.S. government deliberately weakened three kinds of cryptographic primitives: RSA encryption, Diffie-Hellman key exchange, and symmetric ciphers. FREAK exploited export-grade RSA, and Logjam exploited export-grade Diffie-Hellman. Now, DROWN exploits export-grade symmetric ciphers, demonstrating that all three kinds of deliberately weakened crypto have come to put the security of the Internet at risk decades later.

Today, some policy makers are calling for new restrictions on the design of cryptography in order to prevent law enforcement from “going dark.” While we believe that advocates of such backdoors are acting out of a good faith desire to protect their countries, history’s technical lesson is clear: weakening cryptography carries enormous risk to all of our security.

Die Suche nach “NOBUS” (Nobody but us) Schwachstellen/Hintertüren in Verschlüsselungsverfahren hat sich in weitem Bereich als Suche nach dem heiligen Gral herausgestellt. Das klingt gut, mag auch eine Zeit funktionieren, aber dann explodiert das mit hohem Schaden. Ein plakatives Beispiel dafür sind die “TSA” Schlösser für Koffer, für die es bekannte Zweitschlüssel gibt. Es hat nicht lange gedauert, bis diese als 3D-Druckvorlagen im Netz auftauchten.

Daher: wenn man sichere Verschlüsselung haben will, auf die man sich verlassen können muss, dann kann man im Design der Software und der Algorithmen nicht schon absichtlich Hintertüren einbauen.

Kryptografie ist kein Safe

Manchmal wird die Verschlüsselung von Daten mit dem Versperren von Akten in Safes verglichen. Es gibt hier aber einen wichtigen Unterschied:

Für die Sicherheit von Safes wird bewertet, wie lange ein Angreifer unter gewissen Randbedingungen (Werkzeug, Lärmentwicklung, …) braucht, um den Tresor aufzubrechen. Dass der Safe geknackt werden kann, steht außer Zweifel, es geht immer nur um “wie lange mit welchen Mitteln”.

Bei Kryptografie ist es nur theoretisch gleich: mit genug Einsatz von roher Rechenleistung lassen sich die gängigen Verfahren knacken, nur ist bei aktuellen Algorithmen das “genug” schlicht außerhalb des derzeit technisch Machbaren. (OTPs und Quantencomputer lasse ich hier außen vor.)

In der klassische IT ist Security ist noch schwieriger zu erreichen als in der Kryptografie, aber auch ein gesperrtes iPhone lässt sich nicht einfach nur mit roher Gewalt öffnen.

Was heißt das für die Polizei und Gerichte?

Das Gewaltmonopol ist hier kein Joker, der immer sticht. Der Staat kann hier seinen Willen nicht immer hart durchsetzen. Ein österreichisches Bundesgesetz zieht gegen die Gesetze der Mathematik den Kürzeren.

Fähigkeiten von Malware / Kontrolle der Verwendung

Wenn wir vor Ort bei einer Vorfallsbehandlung helfen, kommt sehr oft die Frage, was denn die gefunden Schadsoftware alles hätte machen können. Mit viel Glück kann man manchmal beantworten, was gemacht wurde, aber die Frage der Möglichkeiten endet meistens mit “Sie konnte auch Programme nachladen und ausführen”. Aus der Sicht des Angreifers ist das auch sehr verständlich: das hält den Code klein und den Handlungsspielraum groß. So können gezielt Werkzeuge und Funktionalitäten nachgeladen werden.

Aus rein technischer Sicht besteht kaum ein Unterschied zwischen dem Vorgehen einer Tätergruppe, die spionieren will und der Polizei, die mittels einer eingebrachten Software eine (vielleicht bald) legitimierte Kommunikationsüberwachung eines Verdächtigen durchführt.

Auch hier muss das Tool fast zwangsläufig generisch sein, es muss es dem Polizisten ermöglichen, auf den vorgefundenen Messenger zu reagieren und entsprechende Module nachzuladen. Ich halte daher Aussagen der Form “Die Software kann exakt nur das, was rechtlich erlaubt ist” für technisch nicht haltbar.

Damit haben wir aber ein Audit-Problem. Wie stellen wir sicher, dass das wirklich alles gesetzeskonform abläuft und nicht ein übermotivierter Beamte alle seine technischen Möglichkeiten im Sinne seines Ermittlungsauftrages ausreizt? Hier braucht es dann deutlich mehr als nur einen Juristen als Rechtsschutzbeauftragte, es braucht eine entsprechende Protokollierung und technisch geschulte Kontrolleure.

Das sehe ich im aktuellen Entwurf nicht.

Mobiltelefone sind wie Wohnungen

Mit gutem Grund legt der Gesetzgeber einen anderen Maßstab bei der Durchsuchung einer Wohnung im Vergleich zu der eines Autos an. Die Verletzung der Privatsphäre der eigenen vier Wände ist so signifikant, dass es eine wirklich starke Argumentation seitens des Staates geben muss, um das zu erlauben.

Es gibt global gesehen die ersten Richtersprüche die festhalten, dass die Daten, die heute in Smartphones gespeichert sind, so intimer Natur sein können (Kommunikationsarchiv, Bilder, Videos, Adressbücher, Terminkalender, Social Media, …) dass für eine polizeiliche Durchsuchung die gleichen Maßstäbe anzulegen sind, wie für Wohnungen.

Der aktuelle Vorschlag nimmt das auf, indem er nur auf Kommunikationsüberwachung, nicht aber auf Durchsuchung abzielt. Ich halte das für in der Praxis nicht so schön trennbar, wie sich das die Juristen vorstellen.

Implantieren der Überwachungssoftware

Die Gretchenfrage ist aber, wie denn die Software der Überwacher auf den PC oder das Handy des zu Überwachenden kommt.

Das war früher mit Windows 95 & co noch relativ einfach: wenn man das Gerät in die Hand bekommt, kann man leicht Software installieren. Ein aktuelles Windows braucht hingegen eigentlich immer ein Passwort und ist darüber hinaus noch mit Secure Boot und BitLocker gegen Manipulationen geschützt. Bei Handys schaut es ähnlich aus, aktuelle Modelle lassen sich auch nicht so einfach mit nur einem USB-Kabel manipulieren. Dort kommt noch dazu, dass man schwerer unbeobachtet an das Gerät kommt.

Und das ist gut so. Der Schutz von sensiblen persönlichen oder Firmendaten, die auf mobilen Computern (Laptops, Smartphones, …) gespeichert sind, ist bei jeder Risikobetrachtung (und sei es nach ISO 27k) ein wichtiges Thema. Ein verlorenes Handy oder ein gestohlener Laptop darf für Firmen nicht den Verlust der darauf gespeicherten Daten bedeuten. Diese Absicherung wird den Firmen vom Staat über mehrere Gesetze auch unter Androhung von Strafen vorgeschrieben, das reicht vom DSG bis hin zum kommenden NIS-Gesetz.

Ähnliches gilt auch für die Einbringung von Überwachungssoftware aus der Ferne. Das ist – aus rein technischer Sicht – einfach nur ein weiterer Advanced Persistent Threat (APT). Ob eine kriminelle Bande eine Bank infiltrieren will, um Geld zu bekommen, ob ein fremder Staat in Firmen eindringt um Wirtschaftsspionage durchzuführen, oder ob irgendein Geheimdienst die IT Systeme eines Ministeriums knacken will, um politische Spionage zu betreiben, alles das passiert mit genau denselben Methoden, die auch unsere Polizei anwenden müsste, um in System der vermuteten Kriminellen die Software für die Überwachung einzubringen.

Hier liegt die Krux der Sache: im Normalfall will der Staat, dass sich Bürger und Firmen erfolgreich gegen solche Angriffe absichern, aber wenn der Angriff von der Polizei kommt, soll er a) erlaubt sein und b) funktionieren. Ja, ersteres kann man mit einem Beschluss im Parlament durchsetzen, zweiteres nicht. Da sind wir wieder beim gleichen Thema wie oben bei der Kryptografie:

Sicherheitssysteme bewusst so zu schwächen, dass nur “die Guten” die Lücken nutzen können, funktioniert nicht.

Schizophrenie bezüglich Sicherheit vs. Überwachungsmöglichkeiten

Wir haben also sowohl bei der Kryptografie als auch bei der Sicherheit von IT Systemen zwei sich widersprechende Ziele:

  1. Die Systeme sollen so sicher sein, dass Bürger, Firmen und auch Behörden sicher Daten verarbeiten und vertraulich kommunizieren können. Dazu muss die Integrität der verwendeten Systeme nach bestem Stand der Technik geschützt werden und die verwendeten Algorithmen dürfen keine bekannten Schwächen aufweisen. Werden Schwachstellen gefunden, müssen diese sofort an den Hersteller gemeldet werden, damit sie behoben werden können.
  2. Der Staat will zur Verhinderung und zur Aufklärung von Verbrechen einen Einblick in die Kommunikation und die Daten von Verdächtigen bekommen können. In anderen Staaten kommt hier auch noch der Wunsch dazu, Schwachstellen für Geheimdienstaktivitäten und einen potentiellen “Cyberkrieg” zu horten.

Beide Ziele voll zu erfüllen geht schlicht nicht.

Jeder Staat muss für sich entscheiden, welches Ziel Priorität hat.

Davon unbenommen kann der Staat aber auch noch entscheiden, in welchem Rahmen die Polizei Fehler von Verdächtigen in deren Verwendung von IT Systemen (und deren Schwächen) ausnutzen darf.

Ob Österreich jetzt auch bei den üblichen Verdächtigen die Überwachungssoftware einkauft (dass diese im BM.I entwickelt wird, halte ich nicht für realistisch), wird den Markt von 0-days und diesen Lösungen nicht messbar beeinflussen. Wie seriös solche Firmen agieren, konnte man schön an dem HackingTeam Datenleak erkennen. Und natürlich wird auch hier den potentiellen Kunden manchmal mehr versprochen, als man halten kann.

Wenn aber die Grundsatzentscheidung zu den Prioritäten auf staatlicher Seite nicht klar getroffen wird, dann bringt man die Verwaltung und die Exekutive in eine Zwickmühle: sollen sie auf IT-Sicherheit oder auf Überwachungsmöglichkeiten hinarbeiten?

Die Hersteller scheinen ihre Wahl getroffen zu haben: für sie ist Überwachungssoftware Malware und wird bei Erkennung entfernt.

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#define gerechte Pensionen

Weil mal wieder der Generationenvertrag in Sachen Pensionen im Gespräch ist, und Alt gegen Jung diskutiert, will ich hier mal einen Gedanken einwerfen, der zu oft ignoriert wird.

Wir haben ein Umlagesystem bei den Pensionen: die jetzt Arbeitenden zahlen die Pensionen der vorigen Generation in der Erwartung, dass dann ihre Kinder und Enkel das Gleiche für sie machen werden. Alles gut und sinnvoll, aber was genau meinen wir eigentlich mit „das Gleiche machen“?

Durch die demoskopischen Entwicklungen und die Änderungen in der Lebenserwartung sind die Randbedingungen nicht konstant geblieben, die Frage hat daher keine triviale Antwort. Ich sehe grob zwei Ansätze, wobei ich bewusst nicht behaupte, dass der eine wahrer ist als der andere.

Der anspruchsbasierte Ansatz

Nach x Jahren Arbeit / ab dem y. Lebensjahr hat man einen Anspruch auf eine Pension in der Höhe von f(Arbeitseinkommen). Wenn die Generation, die jetzt in Pension ist, das für ihre Vorgänger ermöglicht hat, dann ist es nur fair, wenn auch sie zu den gleichen Konditionen in Pension gehen können. Ja, an ein paar der Parameter wurde in den letzten Jahren leicht gedreht, etwa der Funktion, die aus dem Einkommen über die Berufsjahre die Pensionshöhe ermittelt, aber der Ansatz blieb der gleiche: man hat sich eine Pension in einer gewissen Höhe verdient, und die haben die Kinder und der Staat zu garantieren. „Ist ja fair, wir haben das gleiche für unsere Vorfahren gemacht.“

Der kostenbasierte Ansatz

Wir können aber auch andersherum rechnen: die jetzigen Pensionisten mussten während ihres Arbeitslebens für die Unterstützung ihrer Eltern/Großeltern einen gewissen Teil ihres Einkommens abgeben. Teils direkt per SV-Abgaben auf ihr Einkommen, teils per Arbeitsgeberbeiträge auf ihren Lohn aber auch über Zuschüsse aus dem regulärem Staatsbudget. Das könnte man sicher aus historischen Statistik- und Budgetdaten für jedes Nachkriegsjahr ausheben. Der genaue Prozentwert spielt hier keine Rolle, aber ich bin mir sehr sicher, dass er über die Jahre hinweg gestiegen ist, weil die Bevölkerung nicht mehr so stark wächst (was das Ganze in Richtung Ponzi-Schema gerückt hat) und die Lebenserwartung viel stärker gestiegen ist als das Pensionseintrittsalter. Man kann gut argumentieren, dass das nicht fair ist. Warum sollen heutigen Arbeitenden mehr ihrer Wirtschaftsleistung an die Pensionisten abgeben, als was diese früher für ihre Vorgänger abgegeben haben?


Aus einer rein rationalen Sicht sind beide Ansätze gleich richtig. Beide sind in sich konsistent und logisch. Der Mathematiker und Informatiker in mir sagt: wenn man bei einer Optimierungsaufgabe die Zielfunktion nicht klar definiert (hier „Was ist gerecht?“), dann kann man nicht objektiv die beste Lösung suchen. Das geht mir bei der aktuellen Debatte ab. Die Anerkennung, dass es mehr als einen Blickwinkel auf das Thema gibt, und dass man daher einen politischen Kompromiss suchen wird müssen.

Aber in einem Bereich bin ich ganz hart für den kostenbasierten Ansatz: Angeblich sind die Politikerpensionen in Italien komplett aus dem Ruder gelaufen, weil schon kurze Karrieren dort großen Pensionsansprüche triggern. Hier wäre ein hartes „Aber in Summe kriegen sie nicht mehr als x% vom BIP.“ hilfreich.  

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ID Austria und der Bundestrojaner

[2022-08-16: ein paar Klarstellungen hinzugefügt.]

Letztens hat wer auf Twitter geschrieben, dass es doch sein könnte, dass in die für ID Austria vorgesehene Smartphone App („Digitales Amt“) ein Bundestrojaner eingebaut ist. Ich halte das für ausgesprochen unwahrscheinlich, die Argumente dahinter (neben den trivialen “das schaffen sie nicht” und “das wäre illegal”) eignen sich aber nicht für Twitter, daher dieser Blogpost.

Auf die Frage, warum SMS nicht mehr sicher genug ist, und warum eine App am Smartphone als zweiten Faktor die Lösung sein soll, will ich hier nicht eingehen. Das ist ein anderes Thema, und ist in der Form auch gar nicht mehr wahr, da auch FIDO Tokens (Level 2) unterstützt werden. Auch das Thema Datenschutz will ich hier nicht ansprechen.

Hintergrund

Wir sind in Österreich gewöhnt, dass der Staat uns Mittel in die Hand gibt, uns mit sehr guter Qualität auszuweisen (und wir unsere Gegenüber), also zu beweisen, wer wir sind. Pässe und Personalausweise sind hilfreich. Wo es das nicht flächendeckend gibt (etwa im angelsächsischem Raum), dort wird dann auf so schwache Hinweise wie Stromrechnungen zurückgegriffen und dort gibt es viel mehr Probleme mit Betrug per Identitätsdiebstahl.

Es ist daher nicht überraschend, dass schon länger versucht wird, das gleiche Konzept auch auf die virtuelle Welt im Internet zu übertragen. Auch hier wäre es in vielen Fällen gut, wenn ich mich (als Nutzer, der einen Browser bedient) klar gegenüber einer Webseite ausweisen kann. Das kann von simplen e-Commerce bis hin zu e-Government reichen. Klar ist das oft mühsam, aber es ist oft zu meinem eigenen Schutz, damit niemand anderer in meinem Namen etwas machen kann. Beispiel aus der offline-Welt von 2007: Ich hebe eine große Summe Bargeld am Bankschalter ab, damit ich mein neues Auto bar bezahlen kann. Darauf will man sowohl meine Bankkarte, als auch einen Ausweis sehen und entschuldigt sich für die Umstände. Ich sag drauf: im Gegenteil, ich wäre sauer, wenn sie jemandem mehrere tausend Euro von meinem Konto geben, ohne sicherzustellen, dass das wirklich ich bin.

Nicht immer ist der „True Name“ relevant, sondern es ist nur wichtig, dass man beim Webservice wiedererkannt wird. Dafür reichen dann Sachen wie „Login via Google/Twitter/Facebook“, wobei es mir massiv gegen den Strich geht, meine Online-Aktivitäten auf vielen Webseiten vom Vorhandensein meines Google-Accounts abhängig zu machen. Weil bei den dortigen Gratis-Accounts habe ich null Handhabe, wenn irgendeine KI meint, sie müsse meinen Account sperren.

Ich halten es daher für ausgesprochen gut, dass sich der Staat in das Thema Online Authentication einmischt. Die Historie der Bürgerkarte will ich hier nicht breittreten, aber mit der eIDAS Verordnung auf EU-Ebene entsteht langsam ein föderiertes System von nationalen Identifikationsmethoden, die es jedem EU Bürger erlauben wird, sich EU-weit online zu identifizieren. Das ist einer der Kernbausteine des EU Single Market, und die EU treibt auf vielen Seiten das Thema Verifikation von Online-Identitäten voran. Das kann man jetzt gut finden, oder nicht, siehe etwa meine Blogposts zu NIS2 und Domaininhabern.

eID  / ID Austria

Aus dem obigem ergibt sich, dass ID Austria kein kurzfristiges Projekterl wie etwa das „Kaufhaus Österreich“ ist. ID Austria ist für Österreich nicht optional. Es ist strategisch wichtig, um die national Souveränität in der Onlinewelt zu erhalten. Und es ist eine Vorgabe von der EU, die umzusetzen ist.

Kurz: das Teil ist wichtig, da hängt viel dran. Das muss funktionieren. Was bewirkt sowas in der Umsetzung? Viel Aufmerksamkeit, jede Menge Leute, die mitreden und entsprechende Kontrolle.

Ist es daher denkbar, dass eine (illegale) Spionagekomponente als Teil des offiziellen Projektplans der ID Austria aufgenommen wurde? Keine Chance. Da sind zu viele Leute involviert. Das gefährdet deren Baby massiv.

Gäbe es ein bewusstes Backdoor und würde das enttarnt werden, so hätte das massiv negative Effekte. Auf die Beteiligten und das Thema eID. Das wäre ein Spiel mit sehr hohem Risiko.

Beteiligte Player

Früher habe ich, wie sicher viele andere auch, die Behörden als eine Einheit gesehen. Im Zuge der Zusammenarbeit mit der öffentlichen Verwaltung ist mir aber klargeworden, dass das völlig falsch ist. Erst mal muss man zwischen Bund, Ländern und Gemeinden unterscheiden, die oft divergente Interessen haben. Aber auch der Bund ist kein Atom: jedes Ministerium ist eigenständig, hat eigene Ziele, Prozesse und House-Rules. Zoomt man weiter, so sieht man weiter Strukturen, gerade das BMI und das BMLV sind Paradebeispiele von komplexen Organisationen mit jeder Menge interner Interessenskonflikte und Friktionen.

Wenn man also die Frage stellt, ob der Staat in die ID Austria App („Digitales Amt“) einen Bundestrojaner einbaut, dann muss die erste Rückfrage sein: Wer genau würde das tun?

Das Thema eID ist ein bisschen ein Wanderpokal: lange war das im Bundeskanzleramt angesiedelt, mit Schwarz-Blau wurde es an das BMDW (Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort) übergeben, und jüngst ist es in das Finanzministerium verschoben worden. Aus welcher Ecke käme der Wunsch, in die App eine Überwachungsfunktion einzubauen? Beim letzten Gesetzesvorschlag in die Richtung war das Innenministerium (genauer, das Bundeskriminalamt) zuständig. (Theoretisch könnte man noch an das BMLV/Abwehramt denken, in der Praxis passt das aber überhaupt nicht.)

Wir haben erst jetzt mit der Schwarz-Grünen Koalition BMI und BMx in der gleichen Couleur. Dass ein blauer Innenminister so etwas im der schwarzen BMDW-Frontfrau im Geheimen ausdealt? Nah. Und dass das nach Koalitionsende geheim bleibt? Sehr unrealistisch.

Neben den Ministerien ist aber auch noch der Technologiepartner im Spiel. Das BMDW programmiert die App ja nicht selber. Soweit ich weiß, ist das in diesem Fall das Bundesrechenzentrum (BRZ). Wie soll das BMI, das hier gar nicht Auftraggeber ist, und auch keine juristische Grundlage dafür hat, dem BRZ einreden, in die App noch was reinzugeben? Auf welcher Basis? Mit welchem Budget?

Gesetzeslage

Die anlasslose „Überwachung“ mittels der Vorratsdatenspeicherung wurde von den Höchstgerichten gekippt. Die von Schwarz-Blau angestrebte gezielte Kommunikationsüberwachung von Verdächtigen per Software am Handy wurde auch untersagt.

Eine Überwachungskomponente in der ID Austria App ist daher rechtlich sicher nicht zulässig.

Ja, man kann natürlich behaupten, dass das irrelevant ist, weil Gesetze gebrochen werden können. Meiner Erfahrung nach kommt das vielleicht im Kleinen vor, je mehr Personen aus verschiedenen Organisationen im Spiel sind, umso unwahrscheinlicher ist das.

Der Kreis der Verschwörer ist zu groß, und Vorteil, den sie daraus ziehen, ist zu abstrakt. Klassische Korruption passt hier nicht als Motiv, wie sollte man diesen Gesetzesverstoß zu privater Bereicherung nutzen? Was haben die Leute im BMDW oder BRZ davon, dass sie hier mitspielen? Für das BMDW wäre das ein Eigentor mit Anlauf. Und was würde es der Polizei wirklich bringen? Sie können mit dem potentiell erlangten Wissen ja nicht vor Gericht gehen, solange das ganze Schema illegal ist.

Weiters muss man sich noch die Frage stellen, ob die Tätergruppen, die gerne für diverse Überwachungsphantasien herhalten müssen, überhaupt die App haben. Pöhse Ausländer, Organisierte Kriminalität, Terroristen? Die haben sicher die App, um damit ihren Meldeschein auszufüllen und bei Volksbegehren zu unterschreiben. Genau.

Technisches

Im Gegensatz zum Einsatz von klassischer polizeilicher Überwachungssoftware wird die „Digitales Amt“ App über die normalen App-Stores verteilt. Was heißt das?    

  • Die App muss durch die Sicherheitschecks von Apple und Google durch. Ja, die sind nicht perfekt, aber: Das muss bei jedem kleinen Update funktionieren, immer und immer wieder. Es reicht nicht, dass das einmal unerkannt bleibt. Egal, was die beiden in Zukunft machen, die Überwachungskomponente darf nie erkannt werden.
  • Kauft man diese aber wo zu, ist die Chance sehr hoch, dass diese mal irgendwo auffliegt und dass dann die Erkennungen entsprechend verbessert werden.
  • Die App wird als normale App installiert und bekommt nur einen minimalen Satz an Rechten. Für die Nutzung als Spionagewerkzeug bräuchte sie viel mehr Privilegien, die sie sich über Schwachstellen erarbeiten müsste. Das ist nicht einfach und ein „moving target“.
  • Apps sind ziemlich einfach zu de-kompilieren. Es ist daher anzunehmen, dass sich mal wer den Code (der ja verfügbar ist) anschaut.

Zusammenfassung

  • Die Kosten+Risiko – Nutzen Rechnung geht für den Staat nicht auf
  • Die Involvierten haben großteils negative Motivation, warum sie das machen sollten
  • Technisch schwierig. Hohes Risiko, enttarnt zu werden
  • Es wäre klar illegal
  • Es sind viel zu viele Player involviert

Trotzdem

Es wäre kein Fehler, wenn man – analog zur Covid-Tracking App – auch hier die Civil Liberties- und Datenschutz-NGOs einbindet und mit wirklich offenen Karten spielt.

In Bezug auf den Datenschutz wurde das auch gemacht, die Datenschutz-Folgenabschätzung vom Research Institute ist umfassend und erklärt gut die Datenflüsse und Behandelt die Risiken in dieser Hinsicht.

Von einem unabhängigen Code-Review, Sicherheitstests oder laufenden Einsichtmöglichkeiten in den Source-Code der App habe ich aber (noch) nichts gehört.

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Kunst hat Rechte, aber nicht immer recht

Aktuell wird mal wieder viel über das Urheberrecht und die armen Künstler gesprochen. Die Piratenpartei feiert Wahlerfolge und die Gegenseite formiert sich auch.

Ich hab in einem Online-Forum Kommentare dazu geschrieben, hier die kurze Zusammenfassung:

Die Menschen fühlen sich aktuell von der Content / IP – Industrie massiv verarscht. Der kleine Schaffende, der jetzt unter die Räder kommt, ist nicht schuld dran.

Wenn man sich ein bisschen in die Thematik eingelesen hat, und die Exzesse der IP-Industrie sieht, dann ist es mit der Sympathie für diese Leute schlicht vorbei. Beispiele:

  • Software/Business-Patente. Das ist zu einem Kartell der Erpresser verkommen.
  • Verarschung der legitimen Kunden. Ich sag nur DVD mit Region-code, non-skippable Werbung/warnungen (kommt genial auf Kinder-DVDs)
  • Die Explosion des Wissens
  • RIAA Accounting
  • Wir kennen das Lied schon.
  • “Nein, du kannst das nicht in der Form kaufen, die du haben willst.” Beispiel: aktuelle US-Serien. Das ist ein relevanter Markt, der nicht bedient wird. No na wird da filesharing gemacht.

So ganz einseitig und einfach ist aber aber auch nicht, ich empfehle den Piraten mal die Lektüre von Charlie Stross’ Common Misconceptions About Publishing.

Weiters:

Der normale Bürger da draußen, der sich sein Brot in der freien Wirtschaft verdient, fühlt sich ernsthaft verarscht, wenn er von den Künstler ein “Ich brauche die Festplattenabgabe, weil sonst kann ich nicht mehr von meiner Kunst leben!” hört.

Das “ich kann nicht davon leben, was ich gern machen / gelernt habe” ist leider eine Sache, die viele trifft. Vom Greißler über den Cafe-Besitzer bis hin zur Historikerin. Ganze Scharen von arbeitslosen Akademikern haben genau das Problem.

Ja, Diebstahl ist ein Problem. Aber ein vorbeiproduzieren an dem, was (und wie) die Leute denn kaufen würden ist es ebenfalls. Und falls die Kunst meint, es kann ihr egal sein, ob sie was macht das der Markt haben will, dann ist das Liebhaberei und ein Hobby. Aber keine Berechtigung, davon Leben können zu müssen.

Die Gesellschaft als Ganze mag entscheiden, dass man sich Kunst leisten will. Dann sind wir wieder in der Subventions/Almosen/… Schiene, die manchen Künstlern so aufstößt.

Aber:

Der Kern der Problems ist meiner Meinung nach was ziemlich Böses: Die Industrie hat sich daraus entwickelt, dass das Duplizieren von Information (inc. Musik und Filmen) ein technisch anspruchsvolles und daher teuer zu lösendes Problem war. Die Studios, Verlage, … haben eine Lösung für einen Mangel verkauft.

Das hat sich jetzt massiv verändert: Das technische Problem existiert nicht mehr. Der Mangel ist weg. Und es gibt in vielen Bereichen einen massiven Überfluss an Inhalten. Die alten Methoden können in diesem Szenario nicht mehr funktionieren. Ein Beharren darauf kann es nicht sein.

Ein “jeder kann alles und immer ohne jegliche Vergütung kopieren” wird auch kaum die Lösung sein.

Interesting Times. Ich seh keine simple Lösung für das Problem. (und ja, das ist eines)

Addendum (10.5.2012): Auch Meldungen wir diese erhöhen nicht das Verständnis der Bevölkerung für die Forderungen der Musikindustrie.